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Wie die Orangenprinzessin den Koitus zum Orgasmus ergänzt

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Ein neuerer Frauenroman, 'Die Orangenprinzessin' der Münchner Autorin Nathalie Weidenfeld, illustriert das Problem des fehlenden koitalen (vaginalen) Orgasmus in drastischer Klarheit. Dort verkörpertdie Titelheldin, die Schauspielerin Candida, in einer Fernsehserie eine Staatsanwältin namens Vera.

Candida selbst führt, nachdem sie ihrem nicht länger erträglichen Freund Paul den Laufpass gab, ein ziemlich promiskuitives Leben: Vor allem seit Vera fühle ich mich mehr denn je als eine Raubkatze, berichtet sie, hungrig und allein, inmitten eines gefährlichen Dschungels. In den letzten Monaten ging sie regelmäßig auf Raubfang, indem sie Männer zu One-Night-Stands mit zu sich nach Hause nahm. Da ihr Drehort tabu ist, geht sie dazu in die Bars. Sie bestellt Whisky sour und denkt an ihre Rolle der Vera, dann fühlt sie sich stark und weiß, dass ihr nichts passieren kann. Bevor sie angegriffen werde, sagt sie, greife sie lieber selber an. Sie spricht die Männer an, lächelt ihnen zu, dosiert gekonnt ihre Wimpernschläge, ihre Worte. In jeder Sekunde wisse sie, wie sie aussieht. Sie behält die Kontrolle.

Wenn bei der Unterhaltung die Männer über ihr Intimleben reden, nickt sie, als würde sie verstehen, als wäre es ihr wichtig. Die Gespräche bleiben sich immer gleich. Das, was sie sagt, bleibt sich immer gleich. Sie erzählt ein paar Anekdoten über ihr Familienleben, über das Leben am Set, über Paul (,die fünfminütige oder die zwanzigminütige Version'). Die Männer seien beeindruckt, halten mich für charmant, intelligent, witzig, was weiß ich. Sie haben keine Ahnung. Sie glauben, weil sie ihnen intime Geschichten erzähle, bekämen sie einen Einblick in ihr ,Seelenleben'. Sie glauben ihr ihre Geschichten. Dabei beginne, meint sie, spätestens beim zweiten Mal, bei dem man eine Geschichte erzähle, die Wahrheit bereits zu zerfließen.

So bastle sie aus allem eine brauchbare Geschichte, die aber nichts weiter sei als eine Hülle, ein Bündel Worte, das ihr gesamtes Leben zu einem Roman zu machen drohe, bis sie selbst daran zweifelt, ob es je etwas anderes gewesen ist … Aber die Männer in den Bars täuscht sie damit. Sie glauben an die ,Wahrheit' ihrer Vergangenheit, die ,Wahrheit' ihrer Gegenwart, die sie ihnen gibt, aber sie täuscht sie, und ihre Freiheit triumphiere. Glorreich und heimlich. Ihre Freiheit, ihre kostbare, wunderschöne Freiheit. Ihren Ex Paul zu verlassen, sei der befreiendste Augenblick ihres Lebens gewesen. Nichts könne ihr je die Überzeugung nehmen, dass ein Mann im Grunde nur dazu da sei, dass man ihn verlässt ... (Was immer das heißen mag angesichts dessen, dass sie selber einige Seiten weiter ihrem Traummann, Chris, begegnet, was ihre und ihres Romans Anschauungen offenbar abrupt und weitgehend relativiert.)

Das System sei immer dasselbe. Sie sind zwischen fünfundzwanzig und fünfzig. Sie lernt sie kennen, und dann gehe alles ganz schnell. Sie lädt den Jeweiligen zu sich ein und macht ihm einen Mozzarella-Tomaten-Salat; dazu ein schöner Rotwein, Médoc oder Saint-Emilion, viele Kerzen, ihr schwarzes Kleid mit dem Ausschnitt, ein paar Worte zur Kunst und dann der erste Kuss (ist ihr immer der liebste). Sie lasse seine Hände auf ihrem Rücken gleiten, bis sie auf ihren Hüften liegenbleiben. Sie greift nach seiner Hand, führt sie auf ihren Po. Dann nimmt sie seinen Kopf in beide Hände und lehnt ihren Kopf sanft in seinen Nacken. Sie hört förmlich seinen Pulsschlag, sie atmet in sein Ohr, öffnet ihre Lippen und küsst ihn auf den Hals. Am Ende macht sie die Beine für ihn breit.

Meist reiche die Magie für ein paar Stunden, nicht jedoch für eine ganze Nacht. Bei ihr übernachten dürften die erlegenen Männer nicht. Spätestens um drei Uhr morgens wirft sie sie raus: „Hör zu … ich hab morgen noch ziemlich viel zu tun und muss früh raus ...“ Natürlich bemühe sie sich, höflich zu sein. Dann verstehen sie meistens und gehen. Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, atmet sie auf. Endlich wieder allein! Die Stille tut so gut, dass sie weinen könnte, aber noch ist es nicht soweit, schreibt sie.

Noch ist es nicht soweit? Soweit wofür? Was kann sie meinen?

Dann aber kommt der Moment, auf den sie heimlich gewartet habe. Und hier die Stelle, auf die es uns ankommt: Ich lasse mich wieder auf das Bett fallen, protokolliert sie, reibe meine Schenkel aneinander, presse sie fest zusammen und zwinge meine Lust heraus, wie ein wilder, ungebändigter Tiger im Morgengrauen seinen Schmerz herausbrüllt. Meine Sehnsucht, die Sehnsucht nach dem, was ich nicht bin, die Sehnsucht nach dem, was ich endlich sein würde, lässt mich aufschreien. Das, was ich habe, will ich nicht. Ich möchte ,Nein' schreien, alles von mir stoßen. Endlich nach dem greifen, wonach ich mein Leben lang gesucht habe, das mir manchmal so nah erscheint und mich doch jedesmal vergessen lässt, dass es immer unerreichbar bleiben wird. Dieses Etwas, das ich suche und wofür es keinen Namen gibt, außer vielleicht so etwas wie das wilde Leben. Ich sehe Farben. Rot. Schwarz. Dann ist alles vorbei. Unter zerwühlten Laken liegen meine aufgelösten Träume, verschwitzt zwischen meinen Schenkeln. Tränen, vermischt mit Schweiß. Ich starre geradeaus auf die weiße Wand, aber kann nichts erkennen. Nichts außer diesem Weiß, das droht, mich auszulöschen. Ich bin allein.

Ich reibe meine Schenkel aneinander, presse sie fest zusammen und zwinge meine Lust heraus. Ich sehe Farben. Rot. Schwarz. Dann ist alles vorbei: Noch klarer kann man es nicht sagen. Deutlicher ist die weibliche Masturbation nicht zu beschreiben: Es ist der von dem Wiener Analytiker Eduard Hitschmann klassisch diagnostizierte Zwang, den unbefriedigenden Koitus durch Selbstbefriedigung zur Vollendung zu bringen. Erst dann orgasmiert sie, zündet der delirierende Blitz in ihrem Gehirn und die elysischen Elixiere der Lust überfluten ihr Blut in dem Maße, als ihre Natur dazu befähigt ist. Und Candida scheint nicht gerade wenig dazu befähigt: reibe meine Schenkel aneinander, presse sie fest zusammen und zwinge meine Lust heraus, wie ein wilder, ungebändigter Tiger im Morgengrauen seinen Schmerz herausbrüllt!

Wie vielen Frauen wohl es nach dem Koitus so ergeht?

Für wie viele der Geschlechtsakt unbefriedigend bleibt? Candida alias Nathalie öffnet die Büchse der Pandora weiblicher Onanie. Sie ist gezwungen, den à la Hitschmann unbefriedigenden Koitus durch Masturbation zum befriedigenden Abschluss zu bringen. Der Sex mit ihren Männern lässt sie am Ende unbefriedigt zurück. Sie ist gleichwie die berüchtigte römische Kaiserin Messalina – genannt invicta, die Unbesiegte, weil keiner ihrer Beischläfer ihr zur ultimativen Lust verhelfen konnte. Der Koitus ist für sie wie ein kulinarisches Gelage, bei dem das Hauptgericht fehlt, so dass die Tischgenossen hungrig nach Hause müssen. Oder bei dem sie zum Nachtisch ein onanistisches Zubrot braucht. (Der Gedanke, dass es ihren abgesamten, abgesahnten Beschälern im Grunde nicht anders gehen könnte, scheint Candida nicht zu kommen.)

Den notwendigen orgasmisch sättigenden Kick muss sie sich ipsistisch selbst verschaffen, und ihre promiskuitiven Eskapaden haben nicht mehr Erfolg, als sie zu klitoromaner Selbstbefriedigung zu bewegen. (,Ipsistisch' – von lat. ipse, ,selbst' – ist aller sex for one. Ipsismus ist gleichbedeutend mit Selbstbefriedigung, Masturbation, Onanie, oder der Neigung dazu. So ging der Berliner Philosoph Hartwig Schmidt gar so weit, zu sagen: Die moderne Identität ist ipsistisch.)

Das scheint aber kaum mehr als ein anthropologischer Gemeinplatz: „Wer hätte nicht“, so der Analyst Wilhelm Stekel, „von Menschen gehört, die nach einem sogenannten ,normalen' Akt onanieren mussten?“ Natürlich fragt man sich, warum Candida die Männer dann überhaupt noch an sich heranlässt, anstatt sich, wenn sie es schon so sattsam am eigenen Leibe erfuhr, gleich völlig auf ihre Masturbation zu beschränken. Hat sie sich etwas anderes erwartet? Glaubte sie, durch ihre One-night-Stands wirklich befriedigt zu werden? Unterliegt sie immer wieder der täuschenden Illusion?

Aber auch wenn man den Roman seiner großspurigen Flunkereien entäußert und ihn auf einen realistischen Kern reduziert, läuft es wohl eben darauf hinaus: Die meisten einsamen Frauen sparen sich den Umweg über die vergebens missbrauchten männlichen Statisten und behalten ihr Bett lieber für sich allein: Unter zerwühlten Laken liegen meine aufgelösten Träume, verschwitzt zwischen meinen Schenkeln. Tränen, vermischt mit Schweiß. Vielleicht ist es ja auch nur eine belletristische Zutat der Autorin, damit es sich schmissiger anhört.

Leider verliert Candida kein Wort darüber, wie sich das nachher mit ihrem Traummann Chris anlässt. Setzt sie als fraglos voraus, dass es mit ihm grundsätzlich anders ist: dass sie vom Liebesakt mit ihm, ungleich Messalina, restlos befriedigt wird – ungeachtet der Myriaden verehelichter Frauen, die darüber klagen, dass sie von ihren Gatten kein sexuelles Genüge haben? Oder geht es dann auch mit Chris weiter wie gehabt?

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