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Man könnte dem Film Damianos sogar, auch wenn der Regisseur selber wohl kaum dergleichen im Sinn hatte, und wenn es nicht allzu sakrilegisch ist, eine künstlerische Finesse unterstellen: die Methode der Verrückung, wie sie exemplarisch von Franz Kafka gehandhabt wird.
Denn wie? „Das Gesicht der kafkaschen Welt scheint ver-rückt“, erklärt der Philosoph Günther Anders. „Aber Kafka ver-rückt das scheinbar normale Aussehen unserer verrückten Welt, um ihre Verrücktheit sichtbar zu machen. Dieses verrückte Aussehen behandelt er aber zugleich als etwas völlig Normales; und beschreibt dadurch sogar eben die verrückte Tatsache, dass die verrückte Welt als normal gilt …
Entstellung als Methode sollte uns allen vertraut sein: Die moderne Naturwissenschaft bringt, um der Wirklichkeit auf den Zahn zu fühlen, ihren Gegenstand in eine künstliche, die Experimentalsituation. Sie stellt eine Anordnung her, in die sie den Gegenstand hineinstellt, und entstellt dadurch das Objekt: aber das Resultat ist Feststellung. Von diesem Gesichtspunkt gesehen, ist, bis auf Ausnahmen, die heutige Romanliteratur unmodern. Im besten Falle beschreibt sie, was sie sieht. Kafka dagegen, und später Brecht, stellen entstellende Situationen her, in die sie ihre Versuchsobjekte – den heutigen Menschen – hineinstellen. Zwecks Feststellung. Ein biologisches Experiment in einem tierpsychologischen Institut sieht zwar gewiss nicht so ,realistisch' aus wie der Hagenbecksche Tierpark. Eine kafkasche Versuchsanordnung sieht zwar gewiss nicht so realistisch aus wie ein Menschenpark von Galsworthy. Aber ihr Resultat ist realistisch.“
So gesehen, wäre Deep Throat eine filmische Experimentalsituation des Regisseurs Damiano. Er stellt eine ver-rückte Anordnung her, in die er den Gegenstand: Lindas Klit, hineinstellt und dadurch das Objekt ent-stellt. Lindas Kitzler wird, aus der Vulva heraus in ihren Hals hinein transformiert – wo sie bei der Fellatio direkt in Kontakt mit dem männlichen Genital kommt und von ihm stimuliert werden kann –, buchstäblich anatomisch verrückt und entstellt; diese Entstellung aber führt anhand ihres vordem verfehlten, erst jetzt erzielten Orgasmus zu der realistischen Feststellung: dass das Epizentrum, der Hotspot der weiblichen Sexuallust eben nicht die Vagina, sondern die Klitoris ist!
(Dahingestellt bleibe wie gesagt die Frage, ob Linda – wie die Frau überhaupt – selbst dann einen Orgasmus haben kann, wenn man die Klit an ihrem angestammten Ort verbleiben lässt, solange diese, wie beim normalen – vaginalen – Geschlechtsverkehr, unangetastet außen vor bleibt!)
Ja, wird durch Damianos Verrückung der Natur der weiblichen Lust nicht die Natur selbst in einem bestimmten Sinn kritisch ins Visier genommen und versuchsweise zurechtgerückt? – insofern, als erst auf solche Art beide Geschlechter sich durch den körperlichen Kontakt gegenseitig befriedigen können: indem dabei, mit dem Kitzler in Lindas Hals, beim Cocksucking beider Genitalien direkt in Berührung kommen, was beim Vaginalverkehr beileibe nicht der Fall ist!
Andererseits könnte der Fakt, dass dies beim normalen Koitus – der ausschließlich vaginal vor sich geht – nicht passiert, sogar zu einer neuen, recht irritierenden Fragestellung führen: War das Telos – Ziel – der evolutionären Natur beim Organ der Lust – jedenfalls bei der Frau – ursprünglich vielleicht gar nicht der Geschlechtsverkehr im Dienst der Fortpflanzung und Erhaltung der Art? Würde die natürliche Auslese nämlich die höchste Lust beim Geschlechtsverkehr zugunsten der Fortpflanzung und der Erhaltung der Art selektiv bevorteilt haben, dann hätte das Zentralorgan der weiblichen Lust: der Kitzler – anstatt außen vor und gleichwie weit vom Schuss zu bleiben – ja direkt in die Vagina hineinverlagert werden können! Die Tatsache, dass dies nicht geschah, gibt zu denken.
Geschwängert wird die Frau beim vaginalen Geschlechtsverkehr, – sexuell befriedigt aber an der Klitoris, die dabei gar nicht tangiert wird. Wir haben es schon einmal bemerkt: Wird die Frau gegebenenfalls – vaginal – geschwängert, dann wird sie, sofern die Klitoris außen vor bleibt, nicht unbedingt auch befriedigt; oder aber sie wird – klitoridal – befriedigt, dann braucht sie nicht unbedingt auch geschwängert zu werden. Die Natur spielt ein zwiespältiges doppelsinniges Spiel: Die Fortpflanzungsfunktion ist von der sexuellen Lust getrennt, gleichwie abgezogen, abstrahiert. Seit dem Augenblick, als die Natur – laut Anke Schaefer in Deutschlandfunk Kultur vom 4. Februar 2021 – „vor etwa 70 Millionen Jahren“ den Orgasmus entwickelte (sie verrät uns allerdings nicht, woher die Zahl stammt) und dabei einen disparaten Weg einschlug, scheint die weibliche Lust jedenfalls nichts mehr mit der sexuellen Fortpflanzung zu tun zu haben.
„Das Klitoris-System“, schreibt Simone de Beauvoir, „ändert sich nicht mit dem Erwachsenwerden, und die Frau behält ihr ganzes Leben lang diese erotische Autonomie... Es ist jedoch nur indirekt mit dem normalen Coïtus gekoppelt und spielt bei der Zeugung keinerlei Rolle. In der Vagina erfolgt die Durchdringung und Befruchtung der Frau. Nur durch das Dazwischentreten des Mannes wird sie zu einem erotischen Zentrum, und jenes stellt immer eine Art Vergewaltigung dar.“ Diese ,erotische Autonomie' ist aber eine klitorale Autonomie, und diese klitorale Autonomie ist ein Autonomie sexueller Lust, die ganz ohne ,das Dazwischentreten des Mannes' allein in der weiblichen Selbstbefriedigung wahrgenommen und ausgelebt wird!
Aber gilt diese erotische Autonomie möglicherweise nicht ebenso auch, wenn er sich darauf beschränkt, für die phallisch-libidinöse Lust des Mannes?
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