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Bemerkung des Bloggers in eigener Sache

Blog 142


Der Blog ,Sex, Wahrheit, Internet – Blog zum Onlinesex' ist teils ein thematisch konzentrierter Auszug aus meiner – wesentlich fiktiven – ennealogischen Heinrich-Heine-Biografie auf Kindle. Diese ist als solche keineswegs ganz historisch. Porträtiert wird vielmehr der idealtypische Erotiker.

Ist das Verhältnis zwischen Margarethe und Suffolk in Shakespeares König Heinrich VI. – fragt er einmal – in der Geschichte begründet? Er wisse es nicht. Aber Shakespeares divinatorisches Auge sehe oft Dinge, wovon die Chronik nichts meldet, und die dennoch wahr sind. Er kenne sogar jene flüchtigen Träume der Vergangenheit, die Klio aufzuzeichnen vergaß. Bleiben vielleicht auf dem Schauplatz der Begebenheiten allerlei bunte Abbilder derselben zurück, die nicht wie gewöhnliche Schatten mit den wirklichen Erscheinungen verschwinden, sondern gespenstisch am Boden haften, unbemerkt von den gewöhnlichen Werkeltagsmenschen, die ahnungslos darüber hin ihre Geschäfte treiben, aber manchmal ganz farben- und formbestimmt sichtbar für das Auge jener Sonntagskinder, die wir Dichter nennen? Hat Shakespeare wirklich den Charakter des erwähnten Königs ganz treu nach der Historie geschildert? Ich muss wieder auf die Bemerkung zurückkommen, dass er verstand, die Lakunen der Historie zu füllen.

Außerdem sei eine Selbstcharakteristik nicht bloß eine sehr verfängliche, sondern sogar eine unmögliche Arbeit: Er wäre ein eitler Geck, wenn er das Gute, das er von sich zu sagen weiß, drall hervorhöbe, und er wäre ein großer Narr, wenn er die Gebrechen, deren er sich ebenfalls bewusst sei, vor aller Welt zur Schau stellte. Und dann, mit dem besten Willen der Treuherzigkeit, könne kein Mensch über sich selber die Wahrheit sagen. Auch sei dies niemandem bis jetzt gelungen, weder dem heiligen Augustin, dem frommen Bischof von Hippo, noch dem Genfer Jean Jacques Rousseau, und am allerwenigsten diesem letztern, der sich den Mann der Wahrheit und der Natur nannte, während er doch im Grunde viel verlogener und unnatürlicher war als seine Zeitgenossen. Sei es doch unsere Erbschwäche, dass wir in den Augen der Welt immer anders erscheinen wollen, als wir wirklich sind.

Ich füllte daher die Lücken in Heines biografischem Nachleben so, wie es am ehesten zu seinem Vorleben passt! Viele originale Texte erscheinen nicht in Anführungszeichen. Es gibt in der Kunst kein siebtes Gebot, der Dichter darf überall zugreifen, wo er Material zu seinen Werken findet, und selbst ganze Säulen mit ausgemeißelten Kapitälern darf er sich zueignen, wenn nur der Tempel herrlich ist, den er damit stützt. Um Heine zu verstehen, bedarf es einer Anatomie der Liebe selbst. Da er nicht prüde war, dürfen wir ihm auch postum einiges zumuten.

Der Mensch lebt nicht nur in der Realität, und ein Dichter schon gar nicht. Der Mensch lebt auch in der Phantasie, und Heines Phantasie ist überwiegend erotisch. Jeder von uns führt ein Doppelleben zwischen Traum und Wirklichkeit; also muss eine wahre Biografie auch das Traumleben enthalten. Was wissen wir von jemandem, fragt Pascal Mercier zu Recht, wenn wir nichts über die Bilder wissen, die seine Einbildungskraft ihm zuspielt? Da die Phantasie immer ausgespart bleibt, gibt es keine echten Biografien. Es ist, als würde aus falscher Scham eine ganze Dimension der Wahrheit unterdrückt und vergessen. Offenbar gilt die Phantasie als Privatsache.

In der Wissenschaft gibt es aber nichts Privates; schon gar nicht in einer Zeit wie der unsern, wo die Probanden unter den MRTs kopulieren, um auf dem Bildschirm die Forscher ihre Hirnströme mitverfolgen zu lassen. So beantwortet Heines Roman im Besonderen auch, was wir schon immer über Sex wissen wollten. Der Film Was Sie schon immer über Sex wissen wollten und noch nie zu fragen wagten stammt bekanntlich von Woody Allen, einem Erotiker, wie er im Buche steht. Leider wird in dem Film keine einzige dieser Fragen wirklich beantwortet. Das ist aber schwer verständlich, gibt es im naturalistischen 21. Jahrhundert doch kaum noch Fragen über Sex, die grundsätzlich nicht beantwortbar wären. So ist das Tabu hier gerade das Thema!

Zu seinen Lebzeiten im 19. Jahrhundert lag gesellschaftlich noch manches im Argen, so dass der Einzelne fast zwangsläufig politisch Stellung beziehen musste; im 21. Jahrhundert ist alles so demokratisch gemanagt, dass wir uns wieder dem tragischen Los des Einzelnen zuwenden dürfen. Tag und Nacht beschäftige ich mich mit meinem großen Buch, dem Roman meines Lebens – schreibt er –, und erst jetzt fühle ich den ganzen Wert dessen, was ich durch den Brand im Haus meiner Mutter an Papieren verloren habe.

Mein wichtigstes Werk sind meine Memoiren, die aber doch nicht so bald erscheinen werden; am liebsten wäre es mir, wenn sie erst nach meinem Tod gedruckt würden! Sie sollten offenbaren, was hinter den Kulissen vorging, während seine Dichtungen und Werke ja nur wie die Schauspieler sind, die auf offener Bühne erscheinen. Ich arbeite seit Jahren daran. Das Buch wird drei Bände haben, mindestens drei Bände. Keiner fühlt mehr als ich, wie mühsam es ist, etwas Literarisches zu geben, das noch nicht da war, und wie ungenügend es jedem tieferen Geiste sein muss, bloß zum Gefallen des müßigen Haufens zu schreiben. Wenige haben den Mut, alles zu sagen.

Das alles nahm ich wörtlich-prophetisch. Die Aufgabe war daher, den Menschen etwas zu sagen, was sie wirklich noch nicht wissen – oder sich aber in dieser Form noch niemals so einzugestehen wagten. Von meinem Schriftstellerruhm will ich doch wenigstens das haben, dass ich so schreiben darf, wie es mir einfällt, ohne dass ich ein stilistisches oder grammatisches Ketzergericht zu befürchten habe.

Gewarnt seien empfindsamere Gemüter. Denn, so einmal Hemingway: Große Dichter sind nicht unbedingt gute Erzieher für junge Mädchen oder Pfadfinderführer oder überhaupt als glänzendes Vorbild für junge Menschen zu empfehlen.

Oh, über das Feingefühl der Damen! fürchtete Harry. Am Ende werden nur Eunuchen für sie schreiben dürfen, und ihre Geistesdiener im Okzident werden so harmlos sein müssen wie ihre Leibdiener im Orient.

Bis dahin aber sollte es noch etwas dauern!

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